• Rezension: Mit dem Leben tanzen ohne Tanz

    Tantra hat keinen wirklich guten Ruf in unserer Gesellschaft.

    Meist ist es mit sexuellen Techniken assoziiert.

    Dabei ist dieser Aspekt des Tantra ein Bruchteil der tantrischen Lehre.

    Der Schöpfermythos des Tantra besteht in der Bejahung des Lebens.

    Das große JA trägt eine radikale Offenheit für unsere Lebendigkeit in sich.

    Diana Sans widmet sich in ihrem neu erschienen Buch „Mit dem Leben tanzen“ einem nicht-

    dualistischen Weltbild, in dem alles der gleichen Essenz entspringt: dem Urknall!

    Dieser hat die Diversität hervorgebracht, die somit ein metaphysisches Gesetz ist.

    Der Begriff Tantra stammt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie: Werkzeug zur

    Erweiterung des Bewusstseins.

    Mit einem erweiterten Bewusstsein, welches Verbundenheit herstellt, entsteht Leichtigkeit.


    Diese Leichtigkeit ermöglicht das Praktizieren von Tantra-Yoga.

    TantraYoga lädt ein, sich in sein Umfeld hinein zu entspannen.

    Anders, so die Autorin, als Hatha Yoga, das eine verbissenere Haltung an den Tag legt.

    Die spirituelle Praxis des Tantra ist radikal, inklusiv, pragmatisch und adaptiv.

    Gestützt auf eine zeitlose Psychologie, arbeitet sie mit den Energien von Gefühl und Sprache.


    Jenseits jeder dogmatischen Strenge lädt sie ein zu körperlicher Erfahrung, Spontanität und

    Experimentierfreude.

    Sie holt dich dort ab, wo Du bist und führt dich in die rigorose Präsenz.

    Dieses Grundlegende Wissen wird im ersten Kapitel vermittelt.


    Im zweiten Teil erfährt der Leser mehr über die ursprüngliche Philosophie des weiblich-

    göttlichen Prinzips, aus dem alles Leben entspringt.

    Der Tanz zwischen den Polaritäten legt die Grundlage für die Bedeutung einer geistigen

    Tanzpraxis, um sich den Herausforderungen von Licht und Dunkelheit stellen zu können.

    Im dritten und letzten Teil des Buches fächert die Autorin die zehn Weisheitsgöttinnen

    entlang des Vijnana Bairava Tantra auf.

    Sowohl kontemplative Verse und Kontemplationsanstöße als auch Meditationstechniken

    werden jeder Göttin zugeordnet und mit ihren jeweiligen Qualitäten alltagstauglich erlebbar

    gemacht.


    Die Götting Kali zum Beispiel steht für die paradoxe Natur der dunklen Mutter.

    Lalita Tripura Sundari widerum symbolisiert die Kraft der Sehnsucht und erklärt, wie wichtig

    diese für unser glückliches Sein ist.

    Für den schöpferischen Freigeist hält die Göttin Matangi ihren Kopf hin.

    Wer auf Grund des Titels Bezüge zum Tanz erwartet, wird hier enttäuscht sein.

    Der Tanz bezieht sich hier lediglich auf des ewige Pendeln des Lebens zwischen den

    Polaritäten von Shiva und Shakti.


    Auch Yogaübungen sind hier nicht zu erwarten.

    Im Fokus steht die Anwendung der Tantrischen Schriften auf die persönlichen sowie

    gesellschaftlichen Herausforderungen unserer heutigen Zeit.

    Jeder Göttin sind kontemplative Fragen und Atemübungen zugeordnet, die ausschließlich in

    Fließtextform vorliegen.


    Die Darstellungen der Göttinnen sind in moderne Grafiken gegossen, die allesamt in Gold

    gehalten sind.


    Auf 220 Seiten gelingt es der weltzugewandten Yogalehrerin Diana Sans die Vielfalt der

    weiblichen Urkraft als Quelle von Lebenstauglichkeit und Resilienz zu entdecken.

    Wohl mehr für Frauen gedacht als Männer, es sei denn, diese möchten die weibliche Kraft in

    sich entdecken oder das weibliche Prinzip besser verstehen.


    Diana Sans: Mit dem Leben tanzen. Die 10 Weisheitsgöttinnen des Tantra als Begleiterinnen

    durch Licht und Dunkel. O.W. Barth Verlag, 220 Seiten, 2024

    25,00 Euro

Blog


Vom Chaos zur inneren Stille:

Demut und Mitgefühl als Weg

 

Wir treiben durch eine Welt, die uns mit einem Chor aus Stimmen überflutet: ein endloses Rauschen von Versprechen, zerbrechlich wie Glas, das zersplittert, sobald wir danach greifen. Das Problem der Moderne ist nicht nur die Fülle der Möglichkeiten, die uns locken und doch orientierungslos zurücklassen. Tiefer liegt der Verlust eines inneren Ankers, eines Sinns, der uns im Angesicht des Lebenssturms halten kann. Wir suchen verzweifelt nach dem Kern unseres Seins, doch je hastiger wir greifen, desto weiter entgleitet er uns. Warum? Weil wir verlernt haben, das Unsichtbare zu spüren – jenes lebendige Erleben, das in der Stille aufblüht, wenn die Welt verstummt und unser Herz zu uns spricht. Stattdessen wenden wir uns kalten Göttern zu: Algorithmen, die präzise Antworten liefern, aber keine Wärme, keine Tiefe, nur eine glatte Leere, die uns hungrig zurücklässt.

 

Welche Ordnung kann uns retten, bevor wir in der Flut der Moderne ertrinken? Keine von außen aufgezwungene, kein starres Gefüge aus Regeln oder Dogmen. Es ist eine Ordnung, die aus unserer tiefsten Natur erwächst – verwurzelt im Irdischen, strebend zum Transzendenten. Sie sieht unsere Zerbrechlichkeit nicht als Makel, sondern als Teil unseres Menschseins. Sie umarmt unsere Brüche und Widersprüche, bietet Wege, sie zu heilen und zu unserer Geschichte zu machen. Diese Ordnung ist kein starres Gebilde, sondern ein lebendiger Fluss, genährt durch Erleben, Innehalten und Hinhören auf das, was in uns und um uns ist.

 

Demut ist ihr erster Ton. Leise, doch klar spricht sie: Du bist ein Funke im weiten Kosmos, klein und doch Teil eines unermesslichen Ganzen. Demut lehrt uns, unsere Grenzen als Raum für Wachstum anzunehmen, nicht als Käfig. Sie öffnet den Blick für das, was größer ist – für die Welt, für ihr Geheimnis. Liebe ist der zweite Ton, ein Ruf, das Herz zu öffnen: für die Nahen, die Fremden, das Leid, das Licht, für Gott. Liebe ist die Brücke von der Einsamkeit zur Gemeinschaft. Anerkennung ist der dritte Ton, sanft und kraftvoll: Sieh dich, wie du bist, mit all deinen Rissen, und liebe das Unvollkommene. Anerkennung erlaubt uns, uns selbst und anderen ohne Urteil zu begegnen, in unserer Verletzlichkeit, in unserer Menschlichkeit.

 

Diese Prinzipien – Demut, Liebe, Anerkennung – klingen altmodisch, doch sie tragen ein Feuer, das nie erlischt. Keine abstrakten Ideale, sondern lebendige Kräfte, die uns erden und emporheben. Keine Regeln, die uns einschränken, sondern Lieder, die befreien. Sie formen eine Ordnung, die einlädt, uns selbst zu begegnen, unsere Sehnsüchte zu hören, unsere Wunden zu heilen.

 

Die Moderne blendet uns mit ihrem Glanz, doch sie verdunkelt das Wesentliche. Sie bietet Antworten, bevor wir unsere Fragen kennen, Scheinlösungen, die uns einsam und entfremdet zurücklassen. Die Ordnung, die wir brauchen, beginnt in der Stille – jener Stille, die wir fürchten, weil sie uns mit uns selbst konfrontiert. Doch in ihr liegt ein Geschenk: die Möglichkeit, zu spüren, wer wir sind, wenn der Lärm verstummt, und den Funken zu finden, der uns mit dem Ganzen verbindet.

 

Diese Ordnung lebt nicht in der Einsamkeit, sondern im Miteinander, wo unsere Stimmen sich finden, unsere Geschichten sich verweben. Sie fragt nicht, was in der Welt real ist – ihre Wahrheit liegt in der Erfahrung des Lebendigen. Sie schenkt uns die Augen, die Welt zu erkennen: in ihrer Schönheit, ihrer Zerbrechlichkeit, ihrer Essenz. Sie gibt uns einen Blick, der die Welt erträgt, weil wir in einem tieferen Sinn verwurzelt sind, der aus unserem Inneren erwächst.

 

Wie gehen wir diesen Weg? Mit einem Schritt ins Ungewisse, mit dem Mut, die Stille auszuhalten. Mit Fragen, die keine schnellen Antworten verlangen: Wer bin ich, wenn niemand zusieht? Was trägt mich, wenn alles fällt? Was verbindet uns jenseits der Oberfläche? Diese Ordnung hat kein Ziel, sie ist ein Tanz – Schritt für Schritt, im Rhythmus des Lebens. Wohin sie uns führt? Zu uns selbst, zu anderen, zur Welt, zum Licht.

 

Michael Gollmer


Nächste Aufstellungsgruppe:

Samstag, 14. Juni, ab 12.30 Uhr